23.11.2020 | Medienmitteilung, iDiv-Mitglieder, TOP NEWS

Plan zur Rettung des Leipziger Auwalds

Die Trockenheit der letzten drei Jahre begünstigt Pilzkrankheiten. Im Leipziger Auwald sterben dadurch derzeit besonders die Esche und der Bergahorn ab. Selbst die Stieleiche ist bereits betroffen. (Bild: André Künzelmann/UFZ)

Die Trockenheit der letzten drei Jahre begünstigt Pilzkrankheiten. Im Leipziger Auwald sterben dadurch derzeit besonders die Esche und der Bergahorn ab. Selbst die Stieleiche ist bereits betroffen. (Bild: André Künzelmann/UFZ)

Beim Bau der Neuen Luppe in den 1930er-Jahren zum Hochwasserschutz wurden zahlreiche Nebenarme der Weißen Elster und der Luppe unterbrochen. So wurde die Wasserzufuhr des Auwaldes weitgehend gekappt.  (Bild: André Künzelmann/UFZ)

Beim Bau der Neuen Luppe in den 1930er-Jahren zum Hochwasserschutz wurden zahlreiche Nebenarme der Weißen Elster und der Luppe unterbrochen. So wurde die Wasserzufuhr des Auwaldes weitgehend gekappt.  (Bild: André Künzelmann/UFZ)

Hinweis für die Medien: Die von iDiv bereitgestellten Bilder dürfen ausschließlich für die Berichterstattung im Zusammenhang mit dieser Medienmitteilung und unter Angabe des/der Urhebers/in verwendet werden.

Fachleute aus Forschung, Behörden und Verbänden erarbeiten gemeinsame Vision und bewerten mögliche Maßnahmen

Leipzig. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass das Auensystem entlang der Weißen Elster, Pleiße und Luppe von seinem wichtigsten Element abgeschnitten ist: dem Wasser. Der Wald trocknet buchstäblich aus, verliert seine charakteristischen Baumarten und deren Bewohner. Der Grund sind historische Umbauten zum Hochwasserschutz und die Klimaerwärmung. Eine Revitalisierung der Flusslandschaft ist deshalb unumgänglich, sagen Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Universität Leipzig (UL). In enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Naturschutzbehörden und -verbänden haben sie jetzt eine Vision für das Leipziger Auensystem entwickelt und eine Karte mit Bewertungen von über 70 konkreten Maßnahmen erstellt. Sachsens Umweltminister Günther würdigte das Papier als fundierte Grundlage und kündigte weitere Schritte an.

Intakte Flussauen und ihre Wälder sind einzigartige Lebensräume für eine Vielzahl oft seltener Tier- und Pflanzenarten. Allein das macht sie schützenswert. Darüber hinaus liefern sie den Menschen in der Umgebung wichtige Ökosystemleistungen, indem sie etwa das Stadtklima regulieren, Luft und Wasser reinigen und als Naherholungsgebiet dienen. Dies alles leistet auch der Leipziger Auwald – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass ausreichend Wasser vorhanden ist. Aber daran mangelt es.

Der Leipziger Auwald ist der sechstgrößte Auwald Deutschlands. Doch schon seit über 80 Jahren fehlen ihm die lebensraumtypischen Überschwemmungen. Zudem sinkt der Grundwasserspiegel. „Die Leipziger Aue ist ein chronisch kranker Patient – und diese chronische Krankheit heißt ‚Neue Luppe‘“, erklärt der Biologe Prof. Christian Wirth von iDiv und der UL. Der künstlich angelegte Kanal diene zwar dem Hochwasserschutz, lege aber auch viele Fließgewässerrinnen trocken.

Darüber hinaus scheint durch die seit 2018 anhaltende Trockenheit ein Kipppunkt überschritten zu sein. Nachdem die Holländische Ulmenkrankheit diese ursprüngliche Hauptbaumart schon vor Jahren fast ausgerottet hat, droht nun den Eschen ein ähnliches Schicksal, was weitreichende Konsequenzen für die biologische Vielfalt und Funktionsfähigkeit des Auwaldes haben dürfte. Erste Trockenheitsschäden zeigen sich auch bei der Stieleiche.

Wirth, der die Entwicklung des Leipziger Auwalds seit vielen Jahren wissenschaftlich begleitet, hat die Initiative ergriffen und erstmals Fachleute und Vertreter aus Umweltverbänden, Behörden und der Wissenschaft zusammengebracht, um ein gemeinsames Positionspapier mit einer Vision für den Naturschutz zu erarbeiten. Das Ergebnis ist ein 63-seitiges Diskussionspapier mit dem Titel „Dynamik als Leitprinzip zur Revitalisierung des Leipziger Auensystems“.

In zehn Thesen stellen die Autoren Leitlinien vor, auf deren Grundlage detaillierte Konzepte für die Wiederbelebung der Auen erarbeitet werden können. Darin betonen die Autoren drei Faktoren: Neben (1) dem Wasservorkommen, spielen auch (2) dessen natürliche Zustandsänderungen wie etwa Überflutungen und Grundwasserschwankungen eine Rolle, die eine Vielzahl natürlicher Prozesse befördern. Unumgänglich sei auch (3) die Wiedervernetzung der Lebensräume, da die Hauptfließgewässer von ihren Auen getrennt wurden.

Umweltminister Günther stößt Prozess zur systematischen Rettung des Auwalds an

Vertreter des Autorenteams hatten das Papier am 9. November 2020 dem Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft Wolfram Günther präsentiert. Dieser würdigte seinen gesamträumlichen Ansatz als wertvolle Fachgrundlage für einen innerbehördlichen Meinungsbildungsprozess und als gute Basis, die Rettung des Auwalds strategisch anzugehen.

Das Papier geht jedoch weit über einen theoretischen Ansatz hinaus. So bewerten die Autoren über 70 konkrete Maßnahmen, die derzeit aus unterschiedlichen Gründen im Raum stehen, und benennen die aus ihrer Sicht besonders zielführenden. Diese sind auf einer Karte für Entscheidungsträger und interessierte Bürger übersichtlich dargestellt. Umweltminister Günther kündigte an, die aufgezeigten Lösungsansätze in Strategiegesprächen mit weiteren Interessenvertretern und Betroffenen zu diskutieren.

Die Autoren sind sich einig, dass mit der Umsetzung möglichst rasch begonnen werden muss. „Während in vielen anderen Flussregionen Deutschlands bereits wirksame Lösungen umgesetzt sind, haben wir mit der Revitalisierung unseres Auensystems – abgesehen von wenigen räumlich eng begrenzten Projekten – noch nicht einmal begonnen“, geben die beiden Mitautoren Philipp Steuer vom NABU Sachsen und Heiko Rudolf vom BUND Leipzig zu bedenken. Es sei aber höchste Zeit für den großen Wurf.

„Wir befinden uns in einem Wettlauf gegen die Zeit“, bestätigt auch Mitautor Mathias Scholz, Auenökologe am UFZ. „Die nun immer deutlicheren Klimaveränderungen verschärfen nicht nur die Situation für die biologische Vielfalt, sondern auch für die Leistungsfähigkeit des Auenökosystems insgesamt – mit Folgen für die Lebensqualität der Bürger Leipzigs und Umgebung."

Christian Wirth ist allerdings optimistisch, dass jetzt die richtigen politischen Impulse gesetzt werden. „Die Revitalisierung von Flussauen ist eine der wirksamsten Maßnahmen gegen die Krise der biologischen Vielfalt und den Klimawandel“, sagt Wirth. „Die Erfolgsaussichten sind hoch und die Hauptprofiteure sind die Menschen der Region“. 

 

Originalpublikation
(Wissenschaftler mit iDiv-Affiliation fett)

Wirth, C., Franke, C., Carmienke, I., Denner, M, Dittmann, V., Homann, K., Rudolf, H., Schmoll, A., Scholz, M, Senft, I., Steuer, P., Wilke, T. & A. Zabojnik (2020): Dynamik als Leitprinzip zur Revitalisierung des Leipziger Auensystems. UFZ Discussion Papers 09/2020. 63 S. ISSN 1436-140X

 

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Christian Wirth
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Abteilungsleiter Spezielle Botanik und Funktionelle Biodiversität an der Universität Leipzig
Max Planck Fellow am Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena
E-Mail: cwirth@uni-leipzig.de
Web: biologie.biphaps.uni-leipzig.de/de/institut/ag/spezbot/mitarbeiterinnen/christian-wirth/

 

Mathias Scholz
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
E-Mail: mathias.scholz@ufz.de
Web: www.ufz.de/index.php

 

Philipp Steuer
NABU-Landesverband Sachsen e. V.
E-Mail: steuer@nabu-sachsen.de

 

Annelie Treu
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit
BUND Sachsen
E-Mail: presse@bund-sachsen.de

 

Sebastian Tilch
Abteilung Medien und Kommunikation
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Tel.: +49 341 97 33197
E-Mail: sebastian.tilch@idiv.de
Web: www.idiv.de/de/media

 

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