10.04.2019 | TOP NEWS, Biodiversität und Naturschutz

Verlust der Artenvielfalt: Lebensraumgröße ist entscheidend, nicht Fragmentierung

Der Iberische Bär Arctia dejeani ist nur auf Wiesen auf der iberischen Halbinsel zu finden. Sie ist eine der in der Studie untersuchten Arten (Bild: Herique Pereira).

Der Iberische Bär Arctia dejeani ist nur auf Wiesen auf der iberischen Halbinsel zu finden. Sie ist eine der in der Studie untersuchten Arten (Bild: Herique Pereira).

Das Untersuchungsgebiet, der portugiesische Peneda Gerês Nationalpark, besteht aus einem Mosaik verschiedener Lebensraumtypen wie Wald, Buschland und Wiesen (Bild: Herique Pereira).

Das Untersuchungsgebiet, der portugiesische Peneda-Gerês Nationalpark, besteht aus einem Mosaik verschiedener Lebensraumtypen wie Wald, Buschland und Wiesen (Bild: Herique Pereira).

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Die Artenvielfalt an einem bestimmten Ort lässt sich am exaktesten über die Betrachtung der Gesamtgröße des umgebenden Lebensraums vorhersagen. Zerschneidung, die Größen der einzelnen Lebensraumfragmente sowie die dazwischenliegenden Entfernungen sind nicht von Belang. Dies ist das Ergebnis eines Forschungsprojektes unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), das in der Fachzeitschrift Journal of Biogeography veröffentlicht wurde. Mit diesen Erkenntnissen bringen die Forscher Klarheit in eine wissenschaftliche Debatte, wie die biologische Vielfalt in vom Menschen veränderten Landschaften am besten geschützt werden kann. Sie schlagen vor, die vorherrschenden Ansätze aus der Insel-Biogeographie beim Biodiversitätsschutz zu überdenken. Die Theorie der Insel-Biogeographie aus den 1960er Jahren dient klassischerweise als Grundlage zur Vorhersage der Artenzahl an einem Ort. Ihr zufolge hängt diese Artenzahl von der Größe der Insel und der Entfernung zum Festland, also ihrem Isolierungsgrad ab. Naturschutzbiologen übernahmen das Konzept, um den Effekt der zunehmenden Zerschneidung von Lebensräumen auf die Populationsentwicklung zu bewerten, die etwa durch Straßen, Kahlschläge oder Agrarnutzung entsteht. Allerdings haben Forscher zunehmend in Frage gestellt, ob sich dieser Ansatz tatsächlich eignet. Eine Alternative ist die Lebensraumgrößenhypothese, nach der allein die verfügbare Gesamtfläche des Lebensraums in der Umgebung die Artenvielfalt bestimme, und Zerschneidung, Fragmentgrößen und deren Abstände zueinander keine Rolle spielen. „Es ist absolut notwendig herauszufinden, welche von den beiden Theorien stimmt, um die besten Strategien zum Schutz der biologischen Vielfalt in menschlich genutzten Landschaften entwickeln zu können“, sagt der Koordinator der Studie Prof. Henrique M. Pereira. Pereira leitet die Forschungsgruppe Biodiversität und Naturschutz beim Forschungszentrum iDiv und an der Uni Halle (MLU). Um diese Frage zu beantworten, haben die beiden Erstautoren Dr. Thomas Merckx (UCLouvain) und Dr. Murilo Dantas de Miranda (iDiv/MLU) unter Leitung von Prof. Henrique M. Pereira (iDiv/MLU) die beiden Ansätze, Lebensraumgrößenhypothese gegenüber Fragmentgrößen- und Isolierungshypothese, mit eigens erhobenen empirischen Daten abgeglichen. Die Forscher arbeiteten in drei verschiedenen Lebensraumtypen – Wald, Buschland und Weideland – im portugiesischen Peneda‐Gerês-Nationalpark. Dort sammelten sie mit Lichtfallen Nachtfalter und ordnen sie nach ihrem bevorzugten Lebensraumtyp ein. Daraufhin bestimmten sie die Artenzahl und setzten sie ins Verhältnis zur Gesamtgröße des Lebensraumtyps, der Fläche des Fragments und der Entfernung zum nächstgelegenen Fragment. Die Ergebnisse zeigen, dass die Artenzahl sowohl der Wald- als auch der Wiesennachtfalter stärker von der Gesamtgröße des Lebenraumtyps abhängt als von der Anordnung der Lebensraumflächen. Damit unterstützen die Ergebnisse die Lebensraumgrößenhypothese. Diese Erkenntnis bestätigte sich auch bei der Berechnung der Beta- und Gamma-Diversität, also der Heterogenität und räumlichen Verteilung von Artenvielfalt in der Landschaft: Die Betrachtung der Gesamtgröße des Lebensraums im Landschafts-SAR-Modell (countryside species area relationship – cSAR) lieferte bessere Ergebnisse als das gebräuchliche SAR-Modell. "Unsere Arbeit stützt eine wachsende Zahl von Nachweisen, die zeigen, dass die Lebensraumgrößenhypothese richtig ist“, sagt Pereira. Diese Erkenntnis könnte künftig einen Paradigmenwechsel in der Biodiversitätsforschung auslösen: Ökologie-Lehrbücher müssten neu geschrieben und die Politik der Landschaftspflege geändert werden. „Man müsste dann bei der Entscheidung über Schutzmaßnahmen viel mehr auf die Erhaltung der Gesamtfläche an Lebensraum achten als auf die Vernetzung der Habitate", sagt Pereira.
Sebastian Tilch

Originalveröffentlichung:

(iDiv-Wissenschaftler fett) Thomas Merckx, Murilo Dantas de Miranda, Henrique M. Pereira (2019). Habitat amount, not patch size and isolation, drives species richness of macro‐moth communities in countryside landscapes. Journal of Biogeography, DOI: 10.1111/jbi.13544

Ansprechpartner:

Prof. Henrique Miguel Pereira (spricht Englisch, Portugiesisch und etwas Deutsch)
Forschungsgruppenleiter Biodiversität und Naturschutz
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU)
E-Mail: henrique.pereira@idiv.de
Web: www.idiv.de/de/gruppen_und_personen/mitarbeiterinnen/mitarbeiterdetails/eshow/pereira_henrique_miguel.html
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