07.09.2017 | TOP NEWS, Biodiversität und Naturschutz

Die globalen Folgen des Sandabbaus

Sandabbau in Laos (Foto: Aurora Torres, iDiv)

Dr. Aurora Torres (Foto: Stefan Bernhardt, iDiv)

Hinweis für die Medien: Die von iDiv bereitgestellten Bilder dürfen ausschließlich für die Berichterstattung im Zusammenhang mit dieser Medienmitteilung und unter Angabe des/der Urhebers/in verwendet werden.
Sand und Kies sind die am meisten abgebauten Rohstoffe weltweit. In der neuesten Ausgabe von „Science“ beleuchten WissenschaftlerInnen die negativen Auswirkungen der Gewinnung und des Transportes von Sand auf Biodiversität und Ökosystemleistungen. Im Interview erklärt Erstautorin Dr. Aurora Torres, warum der Handel mit Sand ein wachsendes, aber unterschätztes globales Problem ist. Aurora Torres ist Wissenschaftlerin am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Frage: Frau Dr. Torres, in Ihrer Arbeit, die gerade im Science-Magazin erschienen ist, beschreiben Sie, wie Sandgewinnung und Sandtransport die Biodiversität und Ökosystemleistungen auf verschiedene Arten negativ beeinflussen können. Welche Probleme sehen Sie als die drängendsten an?

Torres: Sand und Kies sind die am meisten abgebauten Ressourcen der Welt. Angesichts des Ausmaßes ergeben sich viele Auswirkungen. Schon die unmittelbaren Effekte sind enorm. Hier sind vornehmlich erhöhte Erosion und die Beeinträchtigung der ökologischen Integrität und Wasserqualität zu nennen. Sandgewinnung stellt damit eine ernsthafte Gefahr für die Biodiversität dar. Der Gangesgavial (Gavialis gangeticus) zum Beispiel ist eine in asiatischen Flüssen heimische, stark bedrohte Krokodilart, die durch die Sandgewinnung zunehmend gefährdet ist. Diese Spezies ist vornehmlich auf Sandbänken anzutreffen, die durch den Abbau zerstört oder abgetragen werden. Neben dem Verlust der Biodiversität wirken sich die Erosion und Umweltzerstörung in erheblichem Maße auf das menschliche Wohlergehen aus, denn Süßwasser- und Küstensysteme liefern eine Reihe wichtiger Ökosystemleistungen, auf die Menschen angewiesen sind – vom Schutz vor Naturgefahren wie Stürmen oder Tsunamis bis zur Versorgung mit Nahrung und Wasser. Welche Folgen es hat, wenn diese Leistungen verlorengehen, wird zum Beispiel in Sri Lanka und im Mekongdelta deutlich. 

Frage: Denken Sie, dass den Menschen diese komplexen Probleme bewusst sind?


Torres: Ganz und gar nicht. Wie es bei vielen natürlichen Ressourcen der Fall ist, auf die die Gesellschaft angewiesen ist, ist der Handel mit Sand ein klassisches Beispiel für Geschäfte, die unkompliziert erscheinen, in Wahrheit jedoch sehr komplex und voller Ungerechtigkeiten und Risiken sind. Denkt man an Sand, hat man Sandstrände und endlose Wüsten vor Augen, daher fällt es vielen schwer, Sand als Gemeingut zu betrachten, das der „Tragik der Allmende“ anheimfallen kann. Zwar ist das Thema noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angelangt, die Auswirkungen der Sandgewinnung auf Umwelt und Mensch gewinnen aber zunehmend an Aufmerksamkeit. In den vergangenen Jahren ist die Problematik in das Interesse internationaler Organisationen (z. B. UNEP) gerückt und zieht weltweit die Aufmerksamkeit der Medien auf sich (z. B. The New York Times, The Guardian, The Economist). Es entstand sogar ein international prämierter Dokumentarfilm mit dem Titel „Sand Wars“. Dennoch haben noch nicht alle die Komplexität dieses Themas erkannt bzw. verstanden, und die wissenschaftliche Literatur hinkt der Medienberichterstattung hinterher. Vor diesem Hintergrund bringen meine Mitautoren und ich die erste internationale und systematische Untersuchung auf den Weg, die die Angebot-Nachfrage-Situation mittels eines Systemintegrationsansatzes analysiert, d. h. durch Integration der ökologischen und sozioökonomischen Zusammenhänge zwischen Sandgewinnung, Handel und Verbrauch. 

Frage: Die Sandnachfrage und Sandgewinnung sind je nach Region sehr unterschiedlich. Können wir genau nachvollziehen, wie viel Sand weltweit abgebaut, transportiert und genutzt wird?

Torres: Im vergangenen Jahr veröffentlichte Studien zeigen, dass die weltweite Sandgewinnung für die Bauindustrie im Jahr 2010 ca. 11 Milliarden Tonnen betrug. Im asiatisch-pazifischen Raum wurde mit Abstand am meisten abgebaut, gefolgt von Europa und Nordamerika. Sand kommt jedoch auch bei Strandaufschüttungen, in der Schiefergasförderung und der Herstellung vieler Produkte, etwa im Bereich Elektronik, zum Einsatz. Darüber hinaus lässt sich der illegale Abbau nur schwer eindämmen. Sand ist zudem ein Rohstoff, der in großen Mengen und zu geringen Preisen verfügbar ist und in den Wirtschaftsstatistiken eher wenig beachtet wird. Diese Zahlen stellen daher eine deutliche Unterschätzung der tatsächlichen Werte für den weltweiten Sandabbau und -einsatz dar. Blickt man auf die Märkte, lässt sich feststellen, dass der Handelswert von Sand in den letzten 25 Jahren fast um das Sechsfache angestiegen ist (laut UN-Datenbank Comtrade) und Sand sich zu einem zunehmend globalisierten Rohstoff entwickelt hat, mit den USA als größtem Exporteur und Singapur als größtem Importeur. 

Frage: Die Sandnachfrage dürfte in der Zukunft weiter ansteigen. Wie lässt sich verhindern, dass sich die damit verbundenen Probleme weiter verschärfen?

Torres: Wir stehen noch am Anfang eines weiten Weges zum Verständnis dieses komplexen Themas, der involvierten Akteure und der globalen Auswirkungen auf Ökologie und Nachhaltigkeit. Daher lässt sich eine Lösung kaum vorwegnehmen. Einige Dinge können wir aber bereits jetzt tun: Erstens den Sandverbrauch effizienter gestalten, mit Fokus auf Richtlinien zur Wiederverwertung und Strategien zur Vermeidung von Abfällen in der Lieferkette. Zweitens auf einen verantwortungsvollen Verbrauch achten, indem wir die großen Entfernungen berücksichtigen, die sich aus der Angebot-Nachfrage-Situation ergeben. Die Folgen von Sandgewinnung sind am Verbrauchsort (z. B. urbane Regionen) gemeinhin nicht erkennbar, sondern vielmehr in den ärmeren Regionen, in denen der Sand abgebaut wird. Drittens strenge Kontrollen für die Planung, Genehmigung, Suche, und Gewinnung von Sand sowie die Überwachung der Branche einführen.

Frage: Welche Rolle kommt der Wissenschaft in diesem Kontext zu? Torres: Nachhaltigkeit in Bezug auf Sand ist ein sehr komplexes und kaum erforschtes Thema mit großem wissenschaftlichem Potenzial. Eine große Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist es, eine globale Governance-Strategie für Sand zu erstellen, um Katastrophen zu vermeiden. Richtlinien und Strategien für Nachhaltigkeit haben bessere Erfolgsaussichten, wenn sie auf wissenschaftlichen Ergebnissen beruhen. Wir brauchen weitere Forschungsarbeiten, die detaillierte Informationen weltweiter und regionaler „Sandbilanzen“ liefern (wie viel Sand wird verbraucht vs. wie viel Sand wird durch natürliche Prozesse wieder ersetzt), sowie Forschung, die durch den Einsatz eines Systemintegrationsansatzes die komplexen Beziehungen zwischen Sandknappheit, den dazugehörigen Strömen und den Auswirkungen auf Mensch und Umwelt aufdeckt. Wir müssen die Vorgänge an den Orten verstehen, an denen Sand abgebaut bzw. eingesetzt wird, und an den zahlreichen Zwischenstationen, die darunter leiden oder davon profitieren, um realistische Bewertungen der Nachhaltigkeit im Bereich Sandabbau und -handel abgeben zu können.

Originalpublikation:
Torres, A., Brandt, J.S., Lear, K. & Liu, J. A looming tragedy of the sand commons. Science. doi: 10.11126/science.aao0503Kontakt:
Dr. Aurora Torres (spricht nur Englisch)
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Forschungsgruppe „Biodiversität und Naturschutz“
Phone: +49 341 9733123
https://www.idiv.de/de/gruppen_und_personen/mitarbeiterinnen/mitarbeiterdetails/eshow/torres_aurora.html Dr. Volker Hahn
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)
Medien und Kommunikation
Phone: +49 341 9733154
Web: www.idiv.de/groups_and_people/employees/details/eshow/hahn-volker.htmlMedienmitteilung der Michigan State University:   
http://csis.msu.edu/news/sand-global
Diese Seite teilen:
iDiv ist ein Forschungszentrum derDFG Logo
toTop